„Wir sollten unsere Ansprüche zurückschrauben“ - B&O Gruppe - Komplettanbieter in der Wohnungswirtschaft

„Wir sollten unsere Ansprüche zurückschrauben“

10.11.2020, 14:11 Uhr | Gina

Gespräch mit Architekt Florian Nagler

Mehrere Jahre bemühte sich Architekt und TU-Professor Florian Nagler in München um eine Baugenehmigung für die Forschungshäuser. Er wollte die Erkenntnisse, die er und seine Kollegen aus dem Forschungsprojekt „Einfach Bauen“ gewonnen hatten, in drei vergleichbaren Gebäuden einfließen lassen. Auf dem Gelände von B&O und mit B&O als Bauherr bekam er die Gelegenheit dazu. Wir sprachen mit Florian Nagler über die Praxistauglichkeit und Relevanz dieser Bauweisen.

Was verstehen Sie darunter, einfach zu bauen?
Eigentlich verstehe ich jeden Tag etwas anderes darunter. Die Initialzündung für unser Forschungsprojekt war ja, dass die Gebäude immer komplexer werden in ihren Anforderungen an die Haustechnik und Bautechnik. Das sind hochgezüchtete Häuser, die sehr fehleranfällig sind. Wir haben einen Punkt erreicht, an dem wir uns fragen müssen: Wie kann man einfacher bauen? Um dies herauszufinden, haben wir an der TU München das Forschungsprojekt „Einfach Bauen“ gestartet. Der Ansatz war, einschalig mit den gängigen Baumaterialien Beton, Holz und Ziegel zu bauen.
Die Frage „Was ist einfach bauen?“ ist nicht einfach zu beantworten. Jeder hat einen anderen Blickwinkel darauf. Meine Mitarbeiter im Büro würden jetzt sagen: „Es ist viel einfacher, statt einer monomateriellen Innenwand eine Trockenbauwand zu bauen. Dafür gibt es alle Zulassungen, da ist alles geregelt.“

Trotzdem haben Sie sich auf die Suche nach einer einfachen, reduzierten Lösung gemacht. Wie schaut die aus?
Da spielt ganz viel hinein: Das ist ja auch eine Suche nach einer Lösung, bei der man so wenig Kunststoff wie möglich verbaut, bei der man Produkte mit einer guten grauen Energiebilanz einsetzt. Zugleich wollten wir auch mit einem Minimum an Technik auskommen. Es gibt so viele Sachen, die wir eigentlich nicht brauchen. Ich glaube, wir müssen unsere Ansprüche zurückschrauben. Brauchen wir wirklich in allen Räumen 21 Grad Raumtemperatur oder reicht es, wenn das Schlafzimmer kühler ist? Auf wie vielen Quadratmetern wollen wir leben? Die Räume und Fenster müssen nicht zu groß und die Räume nicht komplett verglast sein. Sonst wird zu viel Energie in den Raum transportiert, die man dann wieder mit einer Kühlung hinausbekommen muss. Es geht darum, überall zu angemessenen Lösungen zu kommen.

Sie sagen, man müsse die Ansprüche reduzieren, woher kommen dann die mehr als drei Meter hohen Räume in den Forschungshäusern?
Das ist ein Ergebnis der Simulationen, die wir im Zuge des Forschungsprojekts gemacht haben. Bei einer Raumhöhe von drei Metern steht mehr Wandfläche pro Raum zur Verfügung und damit auch mehr Speicherfläche. Es gibt weniger Übertemperaturgradstunden und einen geringeren Heizwärmebedarf. Man muss nicht so oft lüften. Das ist ein komplexes Gefüge aus einfachen Zusammenhängen.

Werden die Bewohner das spüren? Ist es ein anderes Wohnen?
Auch das werden wir analysieren. Das Ziel ist, dass sie in solchen Häusern ganz normal leben können. Wir haben hier keinen Niedrigenergiestandard realisiert. Wir halten die Energiesparverordnung, die EnEV ein, machen aber nicht mehr. Und wir können dennoch nachweisen, dass diese Häuser, über hundert Jahre betrachtet, eine bessere CO2-Bilanz haben als ein Niedrigenergiehaus.

Welche Chance geben Sie den einzelnen Bauweisen? Können diese zum Standard werden?
Der Dämmbeton ist noch zu experimentell und damit sehr teuer. Aber das Mauerwerk bietet sich hervorragend für eine Standardbauweise an. Damit bauen auch jetzt schon viele. Die Massivholzplatte mit den Lufteinschlüssen halte ich für ein gutes Produkt. Mit 30 cm Wanddicke ist die Holzwand sogar etwas überdimensioniert im Hinblick auf die Anforderungen der EnEV.
Dieses Produkt ist schon jetzt sehr konkurrenzfähig, da es einen geringen Flächenbedarf hat und einen Wärmedämmwert erreicht, den in dieser Wandstärke keine Ziegelwand und auch kein Wärmedämm-Verbundsystem hat.

Foto: © Max Kratzer. Optimale Fenstergröße: Der Glasanteil ist so bemessen, dass ein ausgewogenes Verhältnis aus Tageslichteinfall, solarem Eintrag und Wärmeverlusten besteht.

Welche Rolle spielt die Architektur, wenn man einfach bauen will? Läuft man nicht Gefahr dabei, auf räumliche und gestalterische Qualität verzichten zu müssen?
Ich glaube, dass wir aus den Problemen unserer Zeit eine eigene Architektursprache ableiten können – im Hinblick auf Nachhaltigkeit, Einsatz von Materialien und so weiter. Der Ausdruck der Architektur ist dann ein anderer: Es gibt keine vollverglasten Fassaden mehr, sondern wieder geschlossenere Wände. Die Fenster haben eine spezielle Form, die aus der Konstruktion abgeleitet ist. Daraus ergibt sich ein Fassadenbild, das auch architektonisch interessant ist. Der Bogen hat ja formal wieder Konjunktur in der Architektur. Das ist aber hier keine lustige Geste, darin steckt etwas Wesentliches. Für meine Arbeit finde ich es sehr interessant und es macht Spaß, so zu konstruieren und zu denken. Die Häuser haben etwas Ursprüngliches. Das ist auch die Ansage: Wir bauen Häuser mit geneigten Dächern, die haben sich über Jahrhunderte bewährt. Wir müssen wieder mehr auf das setzen, was die Architektur kann, und nicht versuchen, Defizite mit Technik zu kompensieren. Deswegen sitzen die Fenster tief in der Laibung. Das ist auch vom Isothermenverlauf die beste Position. Durch die tiefe Laibung ergibt sich eine Verschattung und man kann auf den technischen Sonnenschutz verzichten. Das ist das, was wir unter Robustheit verstehen.

Sie sagen, es macht Spaß, so zu entwerfen. Aber bewegt man sich nicht doch in einem engen Korsett?
Ich empfinde das gar nicht so. Ich empfinde es eher als befreiend. Man muss sich nicht mehr mit so vielen Sachen herumärgern. Natürlich sind die Spielregeln etwas anders und man muss seine Sprache finden. Wie kann man monolithisch aus dem Material heraus ohne Verwendung von Stahl diese Öffnungen herstellen? Beim Beton ist das einfach, beim Mauerwerk ist der Bogen mit den großformatigen Steinen hingegen schwerer herzustellen. Wir haben hier ja auch sortenrein gebaut: Auch die Innenwände sind aus Betonstein, Holz und Ziegel. Das muss man natürlich in dieser Radikalität nicht machen, das ist den Forschungshäusern geschuldet. Mit den Erfahrungen, die wir hier gemacht haben, kann man beim nächsten Bauvorhaben das Beste aus den drei Bauweisen kombinieren.

Gibt es ein Folgeprojekt?
Wir bauen in Garching auf dem Gelände der TU München 200 Studentenwohnungen. Auch hier bauen wir wieder mit den drei Materialien Beton, Holz und Ziegel, versuchen aber, den Anteil an Zement zu reduzieren und die Gebäude primärenergetisch neutral hinzubekommen. Zudem bauen wir in der nächsthöheren Gebäudeklasse 4.

Florian Nagler ist Architekt und Professor für Architektur an der TU München und Mitglied im Forschungsverbund „Einfach Bauen“. Er hat die drei Forschungshäuser auf dem B&O-Parkgelände geplant und den Bau begleitet.